Michael Lorenz

E-Mail an Dr. Benno Ure

 

Sehr geehrter Herr Doktor!

Da die jüngst verstorbene Rita Steblin in ihrem letzten Aufsatz in der Musical Times auf die Zusammenfassung ihrer Elise-"Solution" in Ihrem Buch Tasten, Töne und Tumulte hinwies, habe ich mir den dortigen Elise-Artikel angesehen. Der Unsinn, der mich dort erwartete, ist angesichts der recht klaren Publikationslage mit Irrtum und Unverständnis nicht zu erklären. Besonders atemberaubend fand ich den auf meine Publikationen bezogenen Satz (S. 262f.): "Eine schlüssige Antwort auf die Frage, wie das Autograph des vermutlich Elisabeth Röckel zugedachten Stücks in den Besitz von Therese Malfatti gelangen konnte, liefert er [Lorenz] nicht." Man möchte hier – nachdem das Gelächter verebbt ist – nach einem Hilflosenzuschuss rufen, aber ich befürchte, dass die Lage hoffnungslos ist. Für die Musikjournalisten in der letzten Bank ganz kurz die wichtigsten Punkte der Elise-Problematik:

 

1.      Die Widmungsträgerin von Beethovens WoO 59 ist weiterhin unbekannt. Für die Identifikation dieser Widmungsträgerin genügt es nicht, (wie Kopitz und Steblin) eine "Elisabeth" zu finden, die Beethoven kannte. Unentbehrlich für jede Identifikation ist der physische Kontakt einer Person mit dem Autograph des Musikstücks.

2.  Es ist vollkommen unbewiesen, dass auf dem Notenblatt tatsächlich der Name "Elise" stand, da Babette Bredl, wegen ihrer unehelichen Mutterschaft, von Ludwig Nohl die Einsetzung eines anderen Namens (z.B. jenen ihrer Schwiegertochter) verlangt haben könnte. Sie kennen Jürgen Mays Argument, zogen es aber aus taktischen Gründen vor, dieses zu verschweigen.

3.  Dass das Autograph von Beethovens WoO 59 jemals in Therese Malfattis Besitz war, ist unbewiesen. Das war immer nur eine Arbeitshypothese Max Ungers.

4.  Angesichts der Tatsache, dass das Notenblatt schließlich bei Babette Bredl landete, die die Mutter von Thereses Erben und Hausfreund Rudolph Schachner war, ist es gut möglich, dass Therese Malfatti etwas mit dem Notenblatt zu tun hatte.

5.  Weder Kopitz noch Steblin konnten jemals einen direkten Kontakt ihrer Kandidatinnen mit dem Notenblatt nachweisen. Daher ist es absurd, von mir "eine schlüssige Antwort" zu erwarten, "wie das Autograph des vermutlich Elisabeth Röckel zugedachten Stücks in den Besitz von Therese Malfatti gelangen konnte". Ich muss diese Antwort nicht geben, denn ich habe nie behauptet, dass Therese Malfatti "Elise" war. Es war Kopitz, der zeigen hätte müssen, dass Elisabeth Röckel das Notenblatt besaß, und wie es zu Frau Bredl in München kommen konnte. Da Kopitz diesen Nachweis nicht erbringen konnte, konnte er Röckel auch nicht als "Elise" identifizieren. Ebenso gelang es Steblin nicht, nachzuweisen, dass Elisabeth von Barensfeld das Notenblatt besaß.

6.  Meine Theorie von Elise Schachner als "Vaters Elise" hatte hauptsächlich einen satirischen Zweck. Ich wollte zeigen, dass sogar eine a tempo entstandene Idee die Hirnblasen von Kopitz und Steblin an Plausibilität übertrifft.


Da zu befürchten ist, dass Ihr Buch noch in einem dritten Verlag erscheinen könnte, wäre es mir nicht unangenehm, wenn Sie in zukünftigen Auflagen meinen Namen komplett aus dem Elise-Artikel entfernen würden. Sie verzerren den Inhalt meiner Publikationen und ich bin auf Werbung in solchen Büchern nicht angewiesen.
 

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Michael Lorenz

Wien, 16. Oktober 2019

 


© Dr. Michael Lorenz 2019. Alle Rechte vorbehalten. Im Internet veröffentlicht am 17. September 2020.                   nach oben