Michael Lorenz
Enrik Lauer mit Regine Müller: Mozart und die Frauen. – Bergisch Gladbach: Gustav Lübbe Verlag 2005 (ISBN-10: 3-7857-2054-8), 317 und (3) Seiten, mit Abbildungen.
Bei der Lektüre dieses Buches ist man anfangs dankbar für die Unterhaltung, die Enrik Lauers flüssige Prosa bietet – hier schreibt jemand, der sein Handwerk versteht und diesem sichtlich mit großem Vergnügen nachgeht – und man ist angenehm erleichtert, dass die Autoren den Leser nicht mit wissenschaftlichen Ansprüchen ermüden. Doch der erste Eindruck weicht bald der Enttäuschung, denn um den Frauen das thematische Übergewicht zu geben, haben Lauer und Regine Müller ein Mozart-Buch mit reduziertem Mozart-Gehalt geschrieben. Das Thema Frauen um Mozart kommt daher nicht als Qualität zur Geltung, sondern eher als Mangel und kaschierende Verpackung einer schlicht untergewichtigen Mozart-Biographie. Mozarts weiblichen Verwandten müsste sich ohnehin jeder Biograph im selben Ausmaß widmen, die Autoren servieren uns Mozart nur als Beilage, bringen als Schlusskapitel noch 50 Seiten aus Briefen und fertig ist ein Buch über Mozart und die Frauen. Sechs Kapitel genügen: Mutter, Schwester, Bäsle, Aloisia Weber, Nancy Storace und Constanze. Der wichtige Themenbereich "Mozarts Schülerinnen" fehlt, was dem Buch einen geradezu unfertigen Charakter verleiht. Die Methode, der sich die Autoren zur Solidarisierung mit Mozarts weiblichen Verwandten bedienen, ist die des Bemitleidens für erlittenes Unrecht: Mozarts Mutter hatte in Paris die "Versorgungsengpässe" ihres Sohnes auszubaden und das ungeklärte "Versickern" von Mozarts Einkommen war eine der Ursachen für ihren Tod. Die im Schatten ihres Bruders stehende Nannerl hätten Lauer und Müller gerne als konzertierende Starpianistin in Italien gesehen. Ob man für sie eine Lanze bricht, indem man ihren Vater als "Provinzspießer" bezeichnet und sie bemitleidet, weil dieser sie nicht nach Italien mitnahm, sei dahingestellt. Die Beziehung Mozarts zu seiner Cousine wollen Lauer und Müller nicht genau kategorisieren, bedenken sie aber dennoch mit seitenlangen, von Abgeklärtheit triefenden Überlegungen, die in dem Schluss gipfeln, dass die beiden jungen Leute zwar eine sexuelle Beziehung unterhielten, es aber aus Mangel an Gelegenheit, Verhütungsmitteln und "Bravo im Tornister"(!) doch beim Petting belassen haben. Das Kapitel über das Bäsle zeigt in manchen Passagen große Ähnlichkeit mit dem Text einer Mozarts Cousine gewidmeten Internetseite von Susanne M. Scholze (http://www.sumas.de/gerindex.htm, wo Lauer als "ehrloser Spitzbube" firmiert). Aber das liegt wohl sicher nur daran, dass die Autoren dieselben Quellen wie Frau Scholze verwendeten. Nancy Storace wird dem Leser aus unerfindlichen Gründen als "quirliges Bühnentier" vorgestellt, das "ein ähnlich trübes Ende nahm, wie das der meisten Frauen aus Mozarts Umfeld". Das Thema "Die Weberischen" wird so abgehandelt, wie es der schmissige Klappentext ankündigt: "Die vier Weber-Töchter mit ihrem zweifelhaften Ruf: Die eine bricht sein Herz, lässt ihn fallen – und wird doch zur lebenslangen künstlerischen Weggefährtin, die zweite heiratet und vermarktet ihn mit Verve, die dritte wird immerhin seine erste 'Königin der Nacht', und die Jüngste sitzt am Ende allein[sic!] an seinem Totenbett." Mit waghalsigen Behauptungen wie "eine längere Periode des Glücks hat Aloysia wohl ihr ganzes langes Leben hindurch niemals erlebt" bringen sich die Autoren geradezu in den Verdacht des Missbrauchs einer Zeitmaschine. Leider befleißigen sich Lauer und Müller, wohl um sich einen zeitgeistig-trendigen Anstrich zu geben, einer recht schmissigen Sprache und seltsamer Analogien, die jedem Anspruch auf Seriosität den Garaus machen. Wenn sie beim Thema Mozarts Haushalt "Prada Klamotten" und einen Porsche zur Sprache bringen, die Storace mit Barbara Bonney, Farinelli mit Pavarotti und das "Fashion Victim Mozart" mit Rudolph Mooshammer vergleichen, so wirkt das auf die Dauer nur peinlich. Eine Anstellung am kurpfälzischen Hof wird zum "Grammy des 18. Jahrhunderts" und anlässlich der Diskussion der Entfernung München-Salzburg, erfahren wir unvermutet etwas über "Megastaus auf der A8 nach München". Um (wie der Klappentext prahlt) den "modernsten Blick auf Mozart" zu werfen, genügt das noch lange nicht.
Die beiden Autoren sind aus merklich großer Entfernung in Mozarts Welt angereist. Aussagen wie "Bevor sie nicht wenigstens laufen konnten, war es ziemlich sinnlos, für seine Kinder allzu tiefe Gefühle zu entwickeln" entsprechen genau jenem kulturhistorischen Verständnis, das aufgrund neuerer historischer Forschung nicht mehr haltbar ist. Wie dünn der Lack des angelesenen Wissens oft ist, zeigen Unmengen von Fehlern, deren vollständige Aufzählung hier unterlassen werden soll. Als typische Beispiele seien nur ein "Waisenhaus am Rennsteig", die wiederholte Nennung eines Namens "Berchtold zu Sonnenberg" und die kuriose Annahme, Hermann Abert habe – offenbar weil die letzte Ausgabe dieses Werkes 1978 erschien – seine Mozart-Biographie tatsächlich "in den Siebzigern" verfasst. Dass die beiden Autoren keine Mozart-Experten sind, kann ja nicht überraschen; aber dass sie offenbar auch keinen kennen, der sie Korrektur lesend vor solchen Schnitzern bewahrt hätte, ist doch erstaunlich. Auch jene "Therese Vogel" als Geliebte Joseph Langes kommt wieder zu Ehren, was Lauer und Müller als konsequente Nichtleser von Emil Karl Blümmls Standardwerk Aus Mozarts Freundes und Familienkreis ausweist. Aber wer wird sich heute noch mit der Lektüre eines über 80 Jahre alten Buches abgeben? Ähnliches gilt auch für Ernst Fritz Schmids Schwäbisches Mozartbuch, dessen Inhalt in den Erörterung von Maria Anna Thekla Mozarts Privatleben keine Spuren hinterlassen hat. Die Überklebung der Taufeintragung der unehelichen Tochter des Bäsle in der Augsburger Heilig-Kreuz-Pfarre erfolgte nicht erst im Jahr 1802, sondern bereits unmittelbar nach der Taufe, was aus der detaillierten Paralleleintragung in der Dommatrikel zu erkennen ist. Den Eltern wurde ("In honorem Patris") keine Geldstrafe "aufgebrummt", nur die Hebamme erhielt einen Verweis wegen versuchter Vertuschung. Die Mitgift Maria Josepha Berbiers betrug nicht 2.000 Gulden, sondern deren 10.000 in Raten (in Reichswährung im 24-Gulden-Fuß). Auch ein anderer "Lackmusstreifen der Unwissenheit" zeigt die schon bekannte Reaktion, denn die ganze Diskussion um den Termin von Zeugung und Geburt von Nancy Storaces Tochter basiert auf irrigen Vermutungen und ist daher müßig. Mozart wurde weder "im Stephansdom eingesegnet", noch in einem "Massengrab" verscharrt. Massengräber waren im Wien des Jahres 1791 gesetzwidrig und die Sargbestattung war in Wien niemals verboten. Der wiederholt verwendete Name "Walsegg-Stuppach" ist weit verbreitet, aber falsch. Ebenso falsch ist die Behauptung, Mozart "habe sich selbst nie "Amadeus" genannt". Mozart verwendete diesen Namen in seinen Briefen vom 16. Dezember 1774, 25. Oktober 1777 und im Bäsle-Brief vom 10. Mai 1779. In ihrem Überschwang wollen die Autoren hier Mythen ausmerzen, die gar nicht existieren. Leopold Mozarts Violinschule war selbstverständlich nicht die "Einzige ihrer Art". Die Aufführung von Bastien und Bastienne in Dr. Mesmers Haus ist keineswegs erwiesen und auch die Existenz des angeblich 1768 in Wien aufgeführten Trompetenkonzerts KV 47c ist neuester Forschung zufolge sehr unwahrscheinlich. Wenn Leopold Mozart (wie Lauer und Müller behaupten) im Sommer 1777 mit dem "ruppigen Entlassungsgesuch seines Sohnes nicht zufrieden war", so mutet diese Reaktion seltsam an, denn dieses Gesuch hatte Leopold selbst geschrieben. Mozarts angebliche Übersiedlung auf die Landstraße am 24. April 1787 ist ein durch keine Quelle belegtes fiktives Datum. Die Quellenlage spricht eher für einen längeren Verbleib Mozarts als Untermieter der Gräfin von Starhemberg in der Stadt. 1782 war Johann Thorwart noch nicht geadelt und die finanziellen Leistungen Joseph Langes für seine Schwiegermutter als erzwungen darzustellen, entbehrt ebenso jeden Beweises wie die Behauptung, Mozart habe mit dem väterlichen Erbe "einen Teil seiner Schulden bezahlt". Johann Baptist Carl Cetto von Kronstorff war nicht "Salzburger Hofbeamter", sondern "K:K: N:Ö: Landrath". Cetto wurde als Trauzeuge Constanzes gewählt, weil er ein Cousin des Barons von Waldstätten war. Lauer und Müller scheinen tatsächlich zu glauben, dass Mozarts Konzerteinnahmen steuerfrei waren und nicht dem Musikimpost unterlagen. Dieser Irrtum durchzieht die ganze, mittlerweile etwas abgegriffen wirkende Diskussion um den "gar nicht so armen Mozart". Die Angaben zu Mozarts Opernhonoraren sind geprägt von Unkenntnis der wichtigsten Literatur zu diesem Thema. Es ist keineswegs erwiesen, dass Mozart für Così fan tutte "das verdoppelte Honorar" erhielt. Dokumentiert ist nur die Zahlung von 450 Gulden. Acht Bögen venezianisches Notenpapier kosteten nicht einen Gulden, sondern nur 16 Kreuzer. Und es waren nicht acht Bögen Papier, die Mozart für die ersten 40 Takte seines Requiems brauchte (wie die Autoren behaupten), sondern nur zwei. Mozart übersiedelte nicht "Ende August" 1781 in das Haus Stadt 1175 und sein dortiger Hausherr war nicht ein "Hofdrucker Arnstein", sondern der Großhändler Arnsteiner (man muss ja nicht gleich ein Buch wie Hilde Spiels Arnstein-Biographie schreiben, aber es gelesen zu haben, kann nicht schaden). Genug! – Wo man dieses Buch aufschlägt, stößt man auf Schlampereien. Die Autoren agieren stellenweise in einem derart wissenschaftsfreien Raum, dass man versucht ist, als Resümee einen auf Hildesheimer gemünzten Satz Stanley Sadies zu zitieren: "Mozart seems to attract dilettante biographers, who are slipshod over facts and unprofessional in their assessment of evidence." Deshalb sparen wir uns an dieser Stelle auch die Beschäftigung mit der langatmigen Abhandlung, die dem Leser im Zusammenhang mit dem "teuren Leben der Boheme"(!) und Mozarts letztem Lebensjahr zugemutet wird. Es ist jenes aus Unkenntnis und Fantasie gestrickte Geplauder auf journalistischem Niveau, das Lauer und Müller ebenso oft kritisieren wie sie es anwenden. Wer heutzutage immer noch glaubt, es sei zur Streckung eines Textes legitim, alle Giftmord-Hofdemel-Eifersuchtstheorien auszubreiten und souverän zu widerlegen, sollte nicht mit großer Geduld des Lesers rechnen. Mozarts Musik (laut Klappentext "Die wohl erotischste Musik der letzten Jahrhunderte") spielt in diesem Buch keine Rolle. Die Lektüre bietet Anlass zur Vermutung, dass manche Mozart-Legenden nur deshalb nicht aussterben, weil Hildesheimers Erben sie immer wieder vor einem ahnungslosen Publikum ausbreiten, um sich dann mit auftrumpfendem Besserwissen unter großem Textaufwand an ihre "Entlarvung" zu machen. Zur Rechtfertigung so mancher redundanter Publikation wird wacker mit Gespenstern gerungen, die längst gebannt sind.
Zuletzt sei noch die Frage nach Regine Müllers Anteil an diesem Buch gestellt. Sie wird zwar auf dem Titelblatt als Mitautorin genannt, es ist ihr jedoch nicht gelungen, mit ihrem Namen auf die Außenseite des Buchumschlags zu gelangen. Sollte es sich etwa um ein Schattendasein weiblicher Kreativität handeln, wie es uns im Mozart-Kreis so oft begegnet?
© Dr. Michael Lorenz 2007. Alle Rechte vorbehalten. Publiziert im Mozart-Jahrbuch 2007/08, Bärenreiter, Kassel etc, 2011, 200-203. Im Internet veröffentlicht am 26. November 2011. nach oben