Michael Lorenz
Replik auf Walburga Litschauers Beitrag "Perspektiven der Schubert-Forschung in Österreich", (Österreichische Musikzeitschrift, 65. Jg., Heft 9, Wien 2010, S. 46-49) (for the English version go here)
Walburga Litschauer, deren Arbeit für die Neue Schubert Ausgabe Ernst Hilmar immer sehr kritisch beurteilte, stellt die Vorgänge um die Auflösung des Internationalen Franz Schubert Instituts unrichtig, bzw. nicht ganz vollständig dar, was natürlich nicht überraschen kann, da Litschauer in die damaligen Aktivitäten des IFSI nicht involviert war und auch zu dessen Rettung im Interesse der Schubert-Forschung keinen Beitrag leistete. Es entspricht nicht den Tatsachen, dass es "nach Hilmars Suspendierung[sic!] mit dem IFSI materiell bergab ging". Das IFSI erlebte nach 1994 nicht nur eine wissenschaftliche Blüte, was sich in zahlreichen bedeutenden Aufsätzen in der "Brille" manifestierte, das Institut wäre auch nach Hilmars (wegen zahlreicher Verstöße gegen die Vereinsstatuten erfolgter) Abwahl als Generalsekretär finanziell lebensfähig geblieben, wenn Hilmar nicht aus Ärger und Trotz über seine Entmachtung dem IFSI vorsätzlich den Lebensfaden durchtrennt hätte. Litschauers Darstellung erweckt den Eindruck, als hätte das IFSI auf grob fahrlässige Weise bei Hans Schneider Schulden für Druckkosten der "Brille" angehäuft, deren Nichtbegleichung dem Verein schließlich zum Verhängnis wurde. Tatsächlich war es aber so, dass Hilmar diese Kosten im Bewusstsein kontrahiert hatte, dass Schneider sie dem IFSI (einer jahrelangen Tradition folgend) niemals in vollem Umfang in Rechnung stellen würde, solange sein Freund Hilmar im IFSI das Sagen hätte. Als Hilmar den sprichwörtlichen Karren hinschmiss, stellte er sicher, dass auch Schneider an jene stillschweigende Abmachung nicht mehr gebunden war und das IFSI unter diesem unvorhergesehenen Schuldenberg begraben wurde. Das "Scheitern des IFSI" (wie Litschauer es nennt) war ein Scheitern Ernst Hilmars, der sich während seiner Tätigkeit in Wien so viele Feinde gemacht hatte, dass auch seine Nachfolger, die zuletzt mit großem Arbeits- und Zeitaufwand und unter Einsatz eigener finanzieller Mittel das Institut auflösen mussten, keine Chance hatten, mit der Marke "IFSI" bei Sponsoren Staat zu machen. Walburga Litschauers Ausführungen zu den Perspektiven der Schubert-Forschung in Österreich ist im Großen und Ganzen zuzustimmen, wobei nur die Frage zu stellen bleibt, wer die Österreichische Akademie der Wissenschaften bisher gehindert hat, in Wien "ein internationales Kompetenzzentrum für Schubert" zu errichten? Es wäre doch gewagt, wollte man nun behaupten, die Existenz des IFSI hätte die wissenschaftlichen Institutionen der Republik 15 Jahre lang von ihrer Verpflichtung gegenüber der Schubert-Forschung entbunden. Da Deutschs Schubert-Dokumente und die Erinnerungen von Schuberts Freunden nicht mehr heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen (was übrigens auch für die Mozart-Dokumente gilt), ist die Neuausgabe dieser Bücher ein lang überfälliges Desideratum. So ein aufwändiges Projekt wird allerdings mit einer Wiener Außenstelle der Schubert Gesellschaft in Tübingen nicht zu bewältigen sein. Ganz dem Vorbild Otto Erich Deutschs folgend muss die Schubert-Forschung wieder dort zurückkehren, wo sie ihren Anfang nahm: nach Wien. Die Ambitionen öffentlicher Einrichtungen, wichtige Schubert-Projekte zu finanzieren scheinen hierzulande jedoch gering, wofür als Beispiel nur die Ablehnung eines Projekts der Edition der eminent wichtigen Spaun-Chronik durch den FWF im Jahr 2008 genannt sei. Für die Edition der Schubert-Dokumente wird es Wissenschaftler bedürfen, die aufgrund jahrzehntelanger Forschungsarbeit in Wiens Archiven zuhause sind. Es bleibt abzuwarten, ob die Absicht besteht, sich langfristig die Mitarbeit dieser Experten zu sichern. In einer Stadt, in der es möglich ist, dass ein künstlerisch bedeutendes Schubert-Denkmal (Innere Stadt, Renngasse 1) ohne Einschreiten der Behörden über Nacht entfernt und in einen Keller verfrachtet, und die Publikation eines schriftlichen Protests gegen diese Kulturschande von allen Tageszeitungen als offenbar unwichtig abgelehnt wird, kann es auch um die Schubert-Forschung nicht zum besten stehen. Weil von Schubert-Dokumenten die Rede war, sei abschließend darauf hingewiesen, dass es sich bei der Abbildung auf dem Protokoll der letzten Sitzung des IFSI nicht (wie Litschauer vermutet) um das "Sterberegister zum Ableben Franz Schuberts" handelt, sondern um ein bisher unveröffentlichtes Schubert-Dokument aus den Beständen des Wiener Magistrats, das Walburga Litschauer in Deutschs Sammlung der Dokumente sicher nicht finden wird.
Siehe auch: "Johann Strauss auf Irrfahrt" - Ein paar notwendige Anmerkungen
© Michael Lorenz 2011. Die Publikation dieser Replik wurde von der ÖMZ wegen "mangelnder Aktualität"(!) und Angst vor weiteren Repliken abgelehnt. nach oben