Michael Lorenz

Ein Brief an den Vorstand der Mozart-Gesellschaft Zürich

 

Wien, 16. August 2014

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

In seinem in Heft 36 von In signo Wolfgang Amadè Mozart veröffentlichten Aufsatz "Mozart: In und vor der Stadt" präsentiert Walther Brauneis mehrere wissenschaftliche Entdeckungen, die schon im Juni 2009 von mir veröffentlicht wurden. Weil er nicht akzeptieren kann, dass ich die Mozart-Eintragung in der Josephinischen Steuerfassion, die ich unabhängig von ihm gefunden hatte, um Jahre früher als er veröffentlichte, setzt er in seinem Aufsatz (der schon 2012 in den Wiener Geschichtsblättern erschien) erneut zu einer "Revanche" an, bei der er insofern übers Ziel schießt, als er auch andere von mir publizierte Mozart-Quellen als eigene Entdeckungen ausgibt, indem er meine Publikation verschweigt. Er leugnet dabei nicht nur selektiv die Existenz meines im Jahr 2009 erschienenen Aufsatzes "Mozart's Apartment on the Alsergrund", er verschweigt auch zwei nicht unbedeutende Tatsachen: 1) In einem von ihm 1991 publizierten Aufsatz über Mozarts Wiener Wohnungen bestritt er die Existenz der bewussten Eintragung in der Josephinischen Steuerfassion wie folgt: "Dies wird auch durch die alle Namen von Wohnungsmietern in sämtlichen Häusern in und vor der Stadt enthaltenden Hausbeschreibungslisten der Josephinischen Steuerfassion bestätigt, in denen Mozart zum Stichtag 24. April 1788 in keiner[sic!] der in Frage kommenden Wohnungen aufscheint." (Mozart. Bilder und Klänge, Salzburger Landesausstellung Schloß Kleßheim 1991, Salzburg 1991, S. 325). 2) Mein Aufsatz "Mozart's Apartment on the Alsergrund", dessen Existenz Brauneis zum Teil beklagt, zum Teil ignoriert, wurde nicht nur im Juni 2009 im Internet publiziert, er erschien am 27. August 2010 auch im Druck im Newsletter of the Mozart Society of America, Vol. XIV, No. 2, S. 4-7, wodurch zahlreiche von Brauneis in Heft 36 von In signo publizierte Quellen schon seit 2009 veröffentlicht und bekannt sind. Diese Tatsache verschweigt Ing. Brauneis den Mitgliedern der Mozart-Gesellschaft Zürich, weil er offenbar glaubt, dass es in der Schweiz keine Internet-Suchmaschinen gibt. Folgende Informationen und Quellen, die Brauneis in Heft 36 von In signo veröffentlichte, wurden bereits 2009 in meinem Aufsatz "Mozart's Apartment on the Alsergrund" publiziert, ohne dass Brauneis diese Tatsache mit einem Wort erwähnt:

 

1.     Die Steuerfassionseintragung der Mozart-Wohnung im Camesina-Haus (bei Brauneis mit der fehlerhaften Transkription "Gräfinn") befindet sich bereits in meinem Aufsatz von 2009 (Newsletter of the MSA XIV/2, 2010, S. 4)

2.     Die Adresse von Lorenzo Da Ponte im Haus Stadt 316 (Brauneis S. 8) wurde bereits am 26. September 2011 in einer erweiterten Fußnote meines Internet-Aufsatzes und erneut am 2. Juli 2012 im Da Ponte-Artikel der englischen Wikipedia veröffentlicht.

3.     Dass Jakob Schosulan 1788 im Haus Stadt 224 "Zum Mohren" wohnte (Brauneis S. 9, Fußnote 1), las man schon 2009 in meinem Aufsatz (Newsletter of the MSA XIV/2, S. 4 u. Fußnote 7)

4.     Dass Mozart im Haus Stadt 281 wahrscheinlich die Wohnungen 6 oder 8 mietete (Brauneis S. 10), konnte man auf S. 7 der 2010 im Druck erschienenen Fassung meines Aufsatzes lesen.

5.     Die originale Eintragung der Taufe von Mozarts Tochter Theresia, die Brauneis mit der verräterisch falschen Signatur "St. Peter, Taufbuch Bd. 2, fol. 123" auf S. 10, Fußnote 4 zitiert, wurde erstmals (mit Abbildung) im Jahr 2009 von mir veröffentlicht (und erneut in: Newsletter of the MSA XIV/2, S. 8, Fußnote 8). Da ich im Gegensatz zu Brauneis das originale[!] Taufbuch tatsächlich in der Hand hatte und den Text der Eintragung nicht von einem Foto im Internet abschreiben musste, lautet die korrekte Quellenangabe in meinem Aufsatz: "A-Wstm, St. Peter, Taufbuch (original copy[!]), Tom. 2, fol. 123".

6.     Die Mozarts Wohnung auf dem Alsergrund betreffende Eintragung in der Steuerfassion (WStLA, Steueramt B34/27, fol. 218) wurde von mir bereits am 8. Juni 2009 veröffentlicht (Druckfassung in: Newsletter of the MSA XIV/2, 2010, S. 5.). Brauneis bringt es in In signo (S. 11) tatsächlich zuwege, meinen Aufsatz im Zusammenhang mit dieser Quelle vollkommen zu verschweigen. Die in Günther Bauers Buch (S. 82) ein halbes Jahr nach[!] mir veröffentlichte, auf Brauneis brieflicher "Vorveröffentlichung" basierende Transkription dieser Quelle ist fehlerhaft: das Wort "Für" kommt nicht vor, es heißt "Pferde" (nicht "Pferd") und die Kürzelschlinge in "Hn: v: Mozart" wurde irrig als lateinisches E transkribiert.

7.     Der Artikel "Wiens Mozarthäuser" im Morgenblatt der Neuen Freien Presse vom 26. November 1887 (Brauneis S. 14, Fußnote 2) wurde als Quelle zum Haus Währingerstraße 26 bereits in meinem Aufsatz von 2009 zitiert (Fußnote 31).

8.     Die auf der Steuerfassion basierenden Angaben zu den möglichen Kosten der von Mozart im Haus Stadt 245 gemieteten Wohnung (Brauneis S. 14) befinden sich ebenfalls bereits 2009 in meinem Aufsatz (und ebenso in: Newsletter of the MSA XIV/2, 2010, S. 6).

9.     Sämtliche von Brauneis auf S. 20 in der Fußnote 3 genannten Quellen, die belegen, dass Mozart sich "von Mozart" nennen ließ, wurden von mir (mit Abbildungen) ebenfalls bereits im Jahr 2009 veröffentlicht ("Mozart's Apartment on the Alsergrund", Fußnote 28 und erneut in: Newsletter of the MSA XIV/2, 2010, S. 9).

 

Ich mache den Vorstand der Mozart-Gesellschaft Zürich außerdem auf folgende Fehler in Brauneis' Aufsatz aufmerksam:

 

1.     Da Karl Abraham Wetzlar von Plankenstern 1776 getauft wurde, kann man ihn nicht als "jüdischen Banquier" bezeichnen.

2.     Mozarts Konzerte im Trattnerhof fanden nicht "in der Georgskapelle" statt, sondern in einem zwei Stockwerke hohen Saal, der nach dem Einzug einer Zwischendecke aus den oberen zwei Dritteln des einstigen Kapellenraumes geschaffen worden war. Das Erdgeschoß diente zunächst als Bücherlager, später als Gastraum eines Wirtshauses. Die Brauneis unbekannten Pläne des Trattnerhofs wurden von mir im September 2013 veröffentlicht.

3.     Die von Brauneis vorgelegte Hypothese, Mozart habe noch 1787 im Camesina-Haus gewohnt und eine ebenerdige Wohnung im Haus Landstraße 224 nur als "Sommerwohnung für Constanze" angemietet, entbehrt jeden dokumentarischen Beweises. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass Mozart 1787 auf der Landstraße nicht die größere Wohnung im ersten Stock um 200 Gulden mietete, wo er auch genug Platz für seinen Schüler Hummel und einen Billardtisch hatte. Allein die Vorstellung, dass Mozart seinen toten "Vogel Star" im Juni 1787 von der Stadt auf die Landstraße trug, um ihn dort zu begraben, vermittelt einen Eindruck von der Unwahrscheinlichkeit des von Brauneis präsentierten Szenarios. Außerdem beweisen mehrere Eintragungen Mozarts auf Notenmanuskripten jener Zeit, dass sie "auf der Landstraße" geschrieben wurden.

4.     Jakob Schosulan konnte 1787 im Haus Landstraße 224 nicht "seinem Logenbruder Mozart kurzzeitig die Gartenwohnung zur Verfügung stellen" (wie Brauneis auf S. 9 in Fußnote 1 behauptet), denn Schosulan war 1787 noch nicht Besitzer dieses Hauses. Mozarts Vermieter auf der Landstraße im Jahr 1787 waren der k.k. n.ö. Regierungsmarktkommissär Joseph Urban Weber und dessen Gattin Sophia Josepha, die das Haus erst am 10. September 1788 an Jakob Schosulan verkauften, als Mozart nicht mehr auf der Landstraße wohnte. Diese Information wurde schon im Jahr 2009 von mir veröffentlicht (und erneut in: Newsletter of the MSA XIV/2, 2010, S. 8).

5.     Dass Mozart Michael Puchberg gegenüber seine Fahrtkosten mit dem Fiaker in die Stadt erwähnte, spricht nicht gegen die Benutzung des Stalls und des Wagenschuppens auf dem Alsergrund. Mozart hatte absolut keinen Grund, seine Mietkosten ausgerechnet jenem Logenbruder zu verraten, den er 1788 wiederholt um finanzielle Hilfe bat. Aus genau diesem Grund bezeichnete Mozart seine 250-Gulden-Wohnung Puchberg gegenüber als "wohlfeil".

6.     Die Rückschlüsse, die ich im Jahr 2009 aus dem Plan von 1836 auf Mozarts Wohnung zog, waren absolut zulässig, denn ich erörterte nicht einen "Bauzustand", sondern beschränkte meine Schlüsse auf die ungefähre Grundfläche des von 1788 Mozart bewohnten Gartentrakts, an welcher zu diesem Zeitpunkt weder die Aufstockung noch andere Umbauten etwas geändert hatten.

 

Niemand hat je bestritten, dass Brauneis die bewusste Mozart-Eintragung in der Steuerfassion als erster gefunden hat. Während ich jedoch im Mai 2009 binnen zwei Wochen einen englischen 37.000-Zeichen-Aufsatz schrieb und veröffentlichte, schrieb Brauneis nur einen Brief an Prof. Bauer in Salzburg. Wenn er diesen privaten Brief (den ich offenbar telepathisch plagiierte) nun eine "Vorveröffentlichung" nennt, kann man diese Perspektive nur als weltfremd bezeichnen. Hätte der Herausgeber der Zeitschrift In signo sich die Mühe gemacht, meinen auf S. 11 von Brauneis' Text ausdrücklich genannten Aufsatz aus dem Jahr 2009 zu lesen, hätte die Mozart-Gesellschaft Zürich sich die Peinlichkeit einer Wiederveröffentlichung eines Teils meiner Forschung aus dem Jahr 2009 erspart. Man kann natürlich die Existenz des Internets und aller im englischen Sprachraum gedruckten Publikationen ignorieren, aber ich kann Ihnen versichern, dass sich das Fachpublikum außerhalb der Schweiz seine Meinung bildet und der Ruf der Mozart-Gesellschaft Zürich nicht verbessert wurde. In seinem Aufsatz "KV 626: ›Opus summum viri summi‹" (In signo, Nr. 35) befleißigte sich Walther Brauneis übrigens der gleichen Vorgangsweise: auf S. 1 behauptete er: "Die vom Autor aufgefundenen Dokumente (Abbildungen 2b und 2c) gelangen an dieser Stelle erstmals zur Veröffentlichung.", wobei er die Tatsache verschwieg, dass diese zwei Abbildungen bereits im Jahr 2007 von David I. Black in dessen Dissertation Mozart and the Practice of Sacred Music, 1781-91 (Harvard University, 2007, S. 394 u. 398) veröffentlicht wurden.

 

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Michael Lorenz

 


© Dr. Michael Lorenz 2014. Alle Rechte vorbehalten. Im Internet veröffentlicht am 1. November 2014.                   nach oben